Ich stecke meinen Kopf in …

… das Kopfteil der 50er Jahre Vintage Couch Manufaktur Hellerausche Werkstätten Dresden Echtholz Bezug Baumwoll-Viskose-Mischung helles Laubgrün 0,6m x 2,0m x 0,8m, weil ich dachte, dass ich mich in die Zeiten zurücksehne, als alles noch so einfach schien, klar war oder zumindest einteilbar.


Die Frau war eine Frau, der Mann wohl ein Mann. Die Welt hatte genug Mauern, nicht nur in den Köpfen, sondern ganz konkret. Also die, die nicht nur Westberlin und das scheinbar andere Berlin teilte, welches heute von Schwaben bewohnt wird, sondern die ganze Welt.

Ich dachte, es wäre notwendig, dahin zurückzukehren. Klare Formen der Begegnung im Zwischenmenschlichen und auch in den Abläufen. Keine Hektik, keine Pandemie und auch kein sozialer Abstieg. Sicherheit, die abgetragene und aus der Ausbeutung heraus resultierende gute alte Sicherheit der westlichen Zuversicht. Weiße Männer durften über Kartoffeln reden, ohne gleich für die Anderen witzig zu wirken. Ohne gleich unverstanden am Tisch des Bieres und des Feierabends zu sitzen und von den Nachkommen der Suffragetten verspottet und verhöhnt zu werden. Ich dachte an die Zeit, wo Frauen noch beim Kartoffel pellen an Essen dachten und nicht gleich an Weißwurst und Fellatio. Eine Welt der Einfachheit und klarer Nachkommensstrukturen. Polemik, so dachten wir damals, wäre diese Gewerkschaft aus Polen, die Stalin bekämpfte. Doch heute, ja, was ist heute?!

Kontaktbeschränkungen, Maske und andere Sachen, die wir nur als Gegenstände des deutsch-internationalen Boxsports kannten, bestimmen unseren Alltag. Uns wird gesagt: nein, stopp und ihr dürft nicht! Hört auf damit und könnt ihr nicht mal euer Gehirn einschalten, bevor ihr den Mund aufmacht oder während unsere Nase weit über den Baumwollschutz hervorlugt?! Ich fühle mich zurückversetzt in die 50er Jahre, als ich klein war und mir des Öfteren Schläge von meinem Vater abholen durfte, weil ich bei den Nachbarn auf den Rasen urinierte. Unvorstellbar! Wir leben in den postmodernen 2020er Jahren. Der Kleinwagen meiner Frau weiß mehr, als ich und parkt auch noch besser ein! Linksgrün Versiffte dürfen im Parlament sitzen und genauso Waffen an unsere Freunde im Nahen Osten verkaufen, wie wir es aus christlicher Nächstenliebe damals getan haben. Wo leben wir denn?! Ich habe mich, weiß Gott, an so Vieles gewöhnt. Koreanische Autos, Bowls in Schnellrestaurants und Ausländer mit deutschem Pass seit Generationen, doch was in diesen Tagen auf mich einströmt, ist nicht zu tolerieren. Mein Stammtisch, Max, Jochen, Roland, Torben und ich, darf nicht mehr stattfinden. Wir dürfen jetzt nur noch über WhatsApp Bier trinken. Und der Staat kann dabei mithören. Wir skypen seit Neusten - Die Nemesis der Moderne - und gehen live, wenn wir im Rausch sind. Einzeln, versteht sich. Ich darf nicht mehr über mein Leben bestimmen, und, wenn ich davon den Menschen dieses Landes berichten möchte, dann merke ich, sie hören mir nicht mehr zu. Sie hängen mir nicht mehr an den Lippen, so wie früher. Ich spüre, dass ich nicht mehr sagen darf, was ich denke. Das ich in einer politischen Diktatur des Feminismus angekommen bin! So ging es mir tagein tagaus, bis vorgestern, kurz bevor ich meinen Kopf in die Couch steckte. Was für ein Tag. Ich habe geweint. Ich habe so geweint, wie ich noch nie geweint habe. Ich meine, ich habe noch nie geweint, also öffentlich oder vor Freunden, aber still schon. Ich habe im Keller, …, naja, ich habe ganz unerwartet, als ich auf dem Sofa meine Mutter saß und gerade eine kalte Flasche Bier aufgemacht hatte, wie jedes Mal beim Tagesschau gucken, etwas gefühlt. Es war ein einschneidendes Gefühl, weil es so echt und lebenswirklich war. Ich fühlte einen starken Riss in meiner emotionalen Verfassung, eine Scham, die so nie dagewesen war. Ich zitterte und konnte kaum die Bierflasche von meinem fliesengedeckten Couchtisch nehmen. Ich musste unentwegt an die Leute denken, die möglicherweise diese Pandemie nicht überstehen würden, an Mutti und den Roland. Meine geliebte Mutti ist alt und Roland hat Lunge, nicht nur, weil er raucht wir ein Schlot und das auch seit 35 Jahren, sondern weil er Asthma hat.

Ich habe aber nicht nur an die Menschen gedacht, die mir etwas bedeuten, sondern auch an die, die ich jetzt nicht so zu meinem Freundeskreis zählen würde. Mehmet zum Beispiel, der den besten Döner von Bochum macht und den ich eigentlich nicht kenne. Aber ich weiß, dass er oft husten muss, weil er im Krieg wohl mal verschüttet war. So genau weiß ich es nicht. Ich musste auch an die Frau denken, die mir vor 2 Wochen auf der Straße begegnet ist. Ich kenne sie auch nicht und sie ist wohl eine Obdachlose. Ich habe sie alle gespürt, dass Leid, welches ihnen in unserem Land widerfährt, wie schwer sie es haben, überhaupt ein Leben zu führen, was meinem nicht einmal ebenbürtig ist. Ich hatte Angst um sie, weil ich gefühlt habe, in welcher großen Gefahr sie sind und wie wenig sie von der Gesellschaft bemerkt werden. Wie wenig ich sie überhaupt bemerkt habe, wie stark ich über sie beim Stammtisch hergezogen bin. Wie asozial eigentlich der Torben über so Leute spricht. Mir ist aufgefallen, dass wir in einer toxischen Welt leben. Ich und meine Männlichkeit, dir mir anerzogen wurde, das habe ich gemerkt, gespürt, dass diese Verbindung die Welt kaputt macht. Als ich mich erinnerte, dass nicht nur der Bruder von dem Ali ein Messerstecher ist, sondern auch der Bruder von Jochen jemand erstochen hat, nachdem er seine Ehefrau vergewaltigt hatte und deswegen im Knast sitzt. Und als ich dann bei der Tagesschau den Max in Leipzig ohne Maske habe demonstrieren sehen, habe ich die Fernbedienung in den Fernseher geschmissen. Mir war es egal, dass das mein neuer 57 Zoll Flatscreen war. Ich bin einfach zusammengebrochen. Ich habe geweint, geheult wie ein Schlosshund. Das Kartenhaus ist einfach zusammengestürzt. Ich war total fertig. Naja, also das ist natürlich schwer zu beschreiben, aber ich habe gemerkt, ich hatte unrecht. Ich hatte unrecht!
Jeder Tag fühlt sich seitdem anders an. Gut, es sind ja bisher nur zwei Tage, also das ist der zweite Tag, aber es ist anders. Ich vermisse die Menschen so sehr, die bekannten und die mir unbekannten. Ich habe um sie alle Angst und hoffe, dass sie diesen Corona-Mist überstehen und nicht mit einem Schlauch in der Lunge in irgendeinem sterilen Krankenhaus verrecken. Ich würde sie so gerne einfach nur kurz in den Arm nehmen, sie ganz fest drücken und ihnen sagen, dass ich einen Fehler gemacht habe, einen 50 Jahre lang währenden Fehler, dass ich mir von Herzen wünsche, dass sie das hier alles überleben. Ich mir wünsche, dass wir alle kurz innehalten und uns anschauen. Ich möchte, dass wir nicht einfach nur die Oberfläche der anderen Person sehen, sondern den Menschen dahinter. Ich möchte, dass wir uns um unsere Zukunft gemeinsam sorgen, egal wo wer herkommt. Ich möchte leben, mit euch und mit all den Unterschieden. Oh, ich will leben, so leben, wie ich es seit 50 Jahren jeden Tag vermisst habe, mein Leben zu leben. Ich möchte mich öffnen, die Welt um mich herum glänzen sehen, und euch sagen, dass ich euch liebe. Jede*n Einzelne*n.

Ich liebe euch.